Nicht heilbar, aber immer besser zu behandeln

Quelle: Die Presse, 23. Juni 2016  (Andreas Tanzer)


Chronisch entzündliche Darmerkrankungen sind für die Betroffenen oft sehr belastend. Dank neuer Medikamente gibt es nun mehr Therapieoptionen, die bessere Lebensqualität versprechen.

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Immer mehr Menschen in den Industrieländern sind von Chronisch Entzündlichen Darmerkrankungen betroffen.

Sie sind wohl typische Zivilisationskrankheiten: Die Chronisch Entzündlichen Darmerkrankungen (CED) sind in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen. Mittlerweile gibt es in Österreich bis zu 80.000 Betroffene. Die Diagnose wird meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr gestellt, zunehmend aber auch bei Kindern und Jugendlichen. „Bei den Erwachsenen dürfte ein Plafond erreicht sein, bei Kindern steigt die Rate noch“, berichtet Harald Vogelsang, Leiter der Spezialambulanz für CED der Universitätsklinik für Innere Medizin, Wien.

Unter dem Kürzel CED werden zwei eng verwandte Krankheiten zusammengefasst: die Colitis Ulcerosa, die den Dickdarm betrifft, und Morbus Crohn, eine chronischen Entzündung, die abschnittsweise im gesamten Verdauungstrakt auftreten kann. Gemeinsam ist ihnen als häufigstes Symptom mehrwöchige, immer wieder kehrende Durchfälle, dazu oft Müdigkeit in Folge von Anämie. Komplikationen wie Engstellen und Fisteln im Darm können Operationen bis hin zum künstlichen Darmausgang (Stoma) notwendig machen. „CED ist eine systemische Erkrankung. Neben dem Darm sind oft Gelenke, Haut, Augen und innere Organe betroffen“, erklärt Thomas Feichtenschlager, Leiter der CED-Ambulanz der Wiener Rudolfstiftung. Die Krankheit verläuft meist in Schüben, dazwischen können längere Ruhephasen liegen, der individuelle Verlauf ist sehr unterschiedlich.

Ursache unklar

CED sind Autoimmunerkrankungen, die genauen Ursachen sind unklar. Zu den üblichen Verdächtigen zählen zu viel Hygiene und zu viele Antibiotika im Kindesalter sowie die Nahrungsmittelindustrie. Eine kuriose Doppelrolle spielt das Rauchen: Während es bei Morbus Crohn ein großer Risikofaktor ist, hat Nikotin bei Colitis Ulcerosa sogar positive Effekte. Einen wesentlichen Einfluss hat die Genetik. „Um zu erkranken bedarf es einer genetischen Veranlagung, wobei rund 150 Gene mit CED in Zusammenhang gebracht werden“, erklärt Vogelsang. Fest steht auch, dass das Mirkobiom, die bakterielle Besiedlung des Darms, eine entscheidende Rolle spielt. „Allerdings ist nicht klar, was Ursache und was Folge der Krankheit ist“, sagt Feichtenschlager. Eine kausale Therapie, die CED heilt, gibt es noch nicht. Ebenso wenig eine spezifische Diät. Zwar hilft eine individuelle Ausschlussdiät, welche Nahrungsmittel(gruppen) gemieden werden müssen, das ist aber von Patient zu Patient verschieden.

Diese starke Individualität hat wohl auch den Erfolg eines besonderen Behandlungsansatzes verhindert: der Stuhltransplantation. Hier wird dem Patienten Stuhl von Gesunden in den Darm verabreicht, in der Hoffnung, dass dieser den Mikrobiom-Mix so beeinflusst, dass keine Immunreaktion mehr erfolgt. „Allerdings funktioniert das nicht. Man hat man bis jetzt noch nicht den „Gold-Spender“gefunden, dessen Stuhl die erwünschten Eigenschaften hat“, berichtet Feichten- schlager. „Zudem tendiert das Mikrobiom dazu, wieder in seine ursprüngliche Zusammensetzung zurückzukehren“, so Vogelsang.

Neue Wirkstoffe

Auch wenn es bislang keine Heilung gibt, so sind die CED heute gut therapierbar – vor allem, wenn der Patient früh genug richtig behandelt wird. In der Akutphase sind Entzündungshemmer wie Cortison gut wirksam, haben allerdings als Langzeittherapie schwere Nebenwirkungen. Deswegen werden zur Erhaltung der ruhigen Phasen zwischen den Schüben Medikamente eingesetzt, die das Immunsystem unterdrücken. Hier hat es in den vergangenen Jahren große Fortschritte gegeben: Neben den klassischen Immunsuppressiva werden zunehmend Biologika eingesetzt, die selektiv an der Endzündungsreaktion beteilige Moleküle blockieren. Bereits seit Längerem sind TnF-alphaBlocker bei CED erfolgreich. Eine Reihe weiterer Medikamente, die andere Moleküle blockieren, sind in der Pipeline. Der kürzlich zugelas- sene Wirkstoff Vedolizumab etwa wirkt selektiv auf Rezeptoren im Darm. Oft helfen Medikamente, die schon gegen rheumatisch-entzündliche Erkrankungen eingesetzt werden, wie etwa das Psoriasis-Medikament Stellara, das nun auch für CED zugelassen ist. Für Aufsehen hat ein Medikament namens Mongersen gesorgt, das im Gegensatz zu den anderen nicht per Infusion oder Injektion, sondern als Tablette verabreicht wird, und in einer ers-

(CED), Colitis Ulcerosa und Morbus Crohn (benannt dem Arzt Burril Bernhard Crohn), sind Autoimmunerkrankungen mit unklarer Ursache und genetischer Komponente. Hauptsymptom sind Durchfälle, oft sind Operationen notwendig. Therapiert wird mit entzündungshemmenden und immunsuprimierenden Medikamenten, wobei in jüngster Zeit Biologika stark an Bedeutung gewinnen. ten Studie außergewöhnlich gute Wirksamkeit gezeigt hat. Allerdings: Wie bei allen Immunsuppressiva besteht bei den neuen Biologika ein erhöhtes Risiko für Infektionen und bestimmte Krebserkrankungen. Auch die Kosten der Behandlung sind mit typischerweise bis zu 3000 Euro pro Monat nicht unerheblich.

Dennoch zeigt sich Vogelsang von der Wirksamkeit der neuen Medikamenten begeistert. Auch Feichtenschlager sieht die neuen Behandlungsoptionen sehr positiv, ist aber etwas kritischer: „Ein Wundermittel wird es auch weiterhin nicht geben. Die Entzündungsreaktion ist komplex, etwa mit dem Verkehr in der Stadt vergleichbar – wird eine Straße gesperrt, sucht er sich neue Wege.“Das erklärt vielleicht, warum etwa ein Drittel auf die neuen Medikamente gar nicht, ein weiteres Drittel nur bedingt anspricht. Ein Problem ist auch , dass der Körper gegen den Wirkstoff Antikörper bildet und dadurch die Wirksamkeit des Medikaments mit der Zeit verloren gehen kann. Auch deshalb werden heute die neuen immunmodulierenden Arzneimittel mit klassischen Immunsuppressiva kombiniert. „Diese Kombination hat sich klar wirksamer erwiesen als die Gabe einzelner Substanzen“, so die Experten einhellig.

Ziel: Abheilen der Schleimhaut

Über Effektivität neuer Therapien und deren Messung referierte auch Arthur Kaser von der Universität Cambridge bei einem Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH). Neben dem klinischen Bild und dem subjektivem Wohlbefinden rückte Kaser die Abheilung der Darmschleimhaut in den Fokus. Denn deren Schädigung kann auch ohne Beschwerden fortschreiten. Zur Beurteilung der Entzündungsaktivität wird neben Endoskopie und Bluttests neuerdings auch ein Marker im Stuhl (Calprotectin) herangezogen. Mitunter ist aber eine Operation unvermeidbar. „Heute können die meisten Eingriffe minimal invasiv durchgeführt werden“, berichtet Feichtenschlager auch hier Positives.

Quelle: Die Presse, 23. Juni 2016  (Andreas Tanzer)