Wie Essverhalten und Psyche zusammenhängen

Quelle: kurier.at – 18.02.2018


Wenn einem ein Teil des Lebens nicht „schmeckt“ und man dies verdrängt.

Ein Stückerl Schokolade als „Seelentrösterli“, wenn man frustriert oder traurig ist – das kennt fast jeder. Problematisch wird es dann, wenn Süßigkeiten oder Essen generell als eine Art von Ersatzbefriedigung eingesetzt wird. „Ungesunde Essgewohnheiten schleichen sich nicht ein, weil Menschen Spaß an ihnen haben. Sie agieren oft aus Überforderung und seelischer Not heraus“, sagt Romana Wiesinger. Die Psychotherapeutin betreibt in Perchtoldsdorf eine Praxis mit Schwerpunkt Essverhalten. Sie plädiert dafür, der psychischen Komponente mehr Raum zu geben. In ihrem aktuellen Buch „Kochbuch für die Seele“ beschreibt sie fünf unterschiedliche Gruppen, deren Essverhalten verschiedene Wurzeln hat.

Immer weniger Menschen sind zufrieden

Was sie in ihrer langjährigen Arbeit bemerkt hat: Die Gruppe der „Zufriedenen“ mit gesundem Essverhalten und im Einklang mit sich selbst wird immer kleiner. Mehr werden dafür jene, denen „ein Teil ihres Lebens nicht schmeckt“ (die „Kontrollierten“) oder jene, die „in großen Teilen ihres Lebens nicht satt“ werden (die „ewig Unzufriedenen“).

Wie lässt sich das Dilemma aus unbefriedigten Bedürfnissen und unkontrolliertem Essverhalten also lösen? Für Wiesinger ist wichtig, zuerst einmal die Wurzeln für das falsche Ernährungsverhalten zu ergründen. „Jedes Gefühl kann man gut hinunterschlucken, wenn man nicht gelernt hat, anders damit umzugehen. Ein Hinterfragen der eigenen Gefühlswelt könnte mitunter aufschlussreich sein.“

Gefühle anerkennen statt verdrängen

Das muss gar nicht so kompliziert sein, wie es klingt: „Prinzipiell hilft meist auch schon die Tatsache, Gefühle anzuerkennen, sie wahrzunehmen und zuzulassen“, betont die Expertin. Etwa könnte der „Hungrige“ feststellen, dass ihm Telefonate mit einem bestimmten Menschen nicht gut tun – und er immer danach isst. Als Reaktion auf diese Erkenntnis ließe sich vielleicht an der Kommunikation oder auch nur am Zeitpunkt der Telefonate etwas verändern.

Geschlechter-Klischee

Ein weiterer Faktor sind Geschlechter-Klischees – Soziologen nennen das „Genderdoing“. Vereinfacht gesagt: Männer essen Fleisch, Frauen Salat. „Unser Essverhalten ist sozial konstruiert“, betont die Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Spektrum der Wissenschaften. Buben lernen bereits von klein auf, dass Fleisch groß und stark mache. Die Folgen der Kulturgeschichte wiegen also schwerer, als evolutionäre Prägungen, in denen Fleischgenuss mit Jagen und Männlichkeit verbunden ist.


Quelle: kurier.at – 18.02.2018