Welche Funktionen hat das Mikrobiom?
Das beginnen wir erst langsam zu verstehen. Wir wissen, dass es das Immunsystem prägt, für die Verdauung relevant ist und Stoffwechselerkrankungen durch das Mikrobiom beeinflusst werden. Vermutlich kann es sich auch auf die Entstehung von Tumoren auswirken.
Wodurch wird das Mikrobiom gestört?
Wir wissen vieles, aber lange noch nicht alles. Sicher ist, dass die Ernährung und die Genetik wichtige Einflussfaktoren sind. Aber auch Medikamente können beeinflussend wirken. Antibiotika etwa. Sie zerstören Bakterien, was ja bei einer Infektion der gewünschte Effekt ist. Auf der anderen Seite können sie das Mikrobiom in ungünstiger Weise beeinflussen. Die Diversität von Bakterien scheint einer der Faktoren zu sein, die ein gesundes Mikrobiom ausmachen. Wenn sie verloren geht, können sich Krankheitserreger ansiedeln, und es kann zu Darmentzündungen kommen. Da gibt es verschiedene Formen, die Hauptform ist jene, die durch das Bakterium Clostridium difficile ausgelöst wird.
An welchen Symptomen leidet der Patient einer Clostridium-difficile-Infektion?
Nach einer Antibiotika-Behandlung bekommt er Durchfall. Das kommt öfter vor, aber bei dieser Infektion hält er an. Die Betroffenen haben Bauchschmerzen, manchmal auch Fieber. An dieser Infektion kann man sterben, weil auch andere Organfunktionen beeinträchtigt werden und es zu einem Kreislaufversagen kommen kann. Vor allem Menschen, die älter sind oder schon an einer anderen schweren Grunderkrankung leiden, sind betroffen.
Und bei dieser Infektion ist eine Stuhltransplantation das Mittel der Wahl?
Bei einer Clostridien-Infektion, die chronisch wiederkehrt, ist sie die beste Methode, die wir bisher haben. Bei 90 Prozent der Patienten, die damit behandelt werden, war sie erfolgreich. Im Vergleich dazu bringt die Behandlung dieser Darmentzündung, gegen die bisher wieder mit Antibiotika vorgegangen wurde, eine Heilung von nur 30 Prozent.
Wann haben Sie sich das erste Mal dazu entschieden, eine Stuhltransplantation durchzuführen?
Das war 2011 bei einem jungen Mädchen, das bei einem Verkehrsunfall lebensbedrohliche Schädelverletzungen erlitten hatte. Da die Wunden verunreinigt waren und sie – wie das oft bei Intensivpatienten passiert – eine Lungenentzündung bekam, erhielt sie Antibiotika. Daraufhin bekam sie eine schwere Darmentzündung, die allerdings in ihrem Fall nicht durch Clostridien hervorgerufen worden war. Diesen Infekt konnten wir mit konventionellen Methoden nicht in den Griff bekommen. Nicht die Schädelverletzungen, sondern die Darmentzündung wurde schließlich zum bedrohlichsten Hauptproblem für die Patientin. Sie verlor über Wochen hindurch bis zu sechs Liter Stuhl am Tag. Eine Symptomatik, die man sonst nur bei Cholera-Infektionen beobachtet. In diesem Zustand war an die dringend notwendige Rehabilitation gar nicht zu denken, wir konnten das Mädchen nicht einmal von der künstlichen Beatmung entwöhnen.
Und in dieser kritischen Situation haben Sie sich dazu entschlossen, den Eltern diese neue Methode vorzuschlagen?
Ja, und ganz anders als befürchtet, haben sie sehr positiv und unterstützend reagiert.
Wer kommt als Spender infrage?
Jeder, der grundsätzlich gesund ist. Es kann, muss aber kein Angehöriger sein. Wie bei einem Blutspender schließt man vorher gewisse Erkrankungen wie Hepatitis oder HIV aus. Auch soll der Spender in den Monaten davor keine Antibiotika zu sich genommen haben. Wir haben in Österreich schon Empfehlungen mit Anforderungen an einen potenziellen Spender herausgegeben. Da waren wir Vorreiter, die USA haben erst jetzt solche Empfehlungen veröffentlicht.
Zurück zu Ihrer Patientin. Wie ging es nach dem Gespräch mit den Eltern weiter?
Ihrer Tochter wurde Stuhl in den Dickdarm transplantiert. Der Erfolg war frappant. Schon nach wenigen Tagen zeigten die Gewebeproben ein erstaunliches Ergebnis, sie hatten sich deutlich verbessert. Aber vor allem hat sich die Stuhlfrequenz des Mädchens schnell stark reduziert. Binnen 14 Tagen hatte sie sich auf die normale Durchschnittsmenge eingependelt, und sie konnte ihre Rehabilitation beginnen. Heute hat sie keinerlei Probleme mit dem Darm. Diese Beobachtungen haben mich von der Methode überzeugt. Gleichzeitig ist mir klar geworden, dass vieles, was wir bisher gemacht haben, unzureichend ist.
Sie haben die Methode seitdem auch bei anderen Patienten angewendet.
Ja, bei Clostridium-Infektionen ist die Stuhltransplantation mittlerweile eine wissenschaftlich etablierte Methode.
Und bei anderen entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn?
Wir glauben, dass auch andere Darmerkrankungen auf eine Störung des Mikrobioms zurückzuführen sind und machen dazu Studien mit der Stuhltransplantation. Es dürfte eine gewisse Wirkungen geben, sie scheinen aber nicht so dramatisch zu sein wie bei der Clostridien-Infektion. In der Stuhltransplantation ein Allheilmittel für jede Darmerkrankung zu sehen, davor warne ich.
Skepsis ist also angebracht?
Ich finde eine gewisse Skepsis sogar sehr wichtig. Denn es wäre sehr schade, wenn eine vielversprechende Methode unwissenschaftlich eingesetzt wird und aufgrund falscher Anwendung in Verruf kommt. Wir wollen unsere Patienten auch über einen längeren Zeitraum beobachten, um herauszufinden, ob wir vielleicht auch etwas verursachen, was wir nicht verursachen wollen.
Christoph Högenauer ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie sowie Intensivmedizin an der Uni-Klinik Graz. Er hat sich auf chronisch entzündliche und infektiöse Darmerkrankungen spezialisiert. Nach einem Forschungsaufenthalt in Dallas/Texas bei John S. Fortran kehrte er 2000 nach Österreich zurück und beschäftigt sich weiter mit Darmbakterien, Antibiotika und Darmentzündungen. Högenauer leitet seit 2013 das Theodor-Escherich-Labor für Mikrobiomforschung in Graz. Seit Jahren widmen sich er und sein Team der Behandlungsmethode der Stuhltransplantation.
Bei dieser Mikrobiotatransplantation, so der wissenschaftliche Begriff, wird der fremde Stuhl eines gesunden Spenders in den Darm eines erkrankten Menschen transportiert. Mit dieser Behandlungsmethode werden vor allem darmbesiedelnde Mikroorganismen, also Pilze, Bakterien und Viren, übertragen. Dabei wird eine frische Stuhlprobe mit Flüssigkeit zu einer Suspension vermengt. Diese Lösung wird, so die Technik der Grazer Teams, bei einer Darmspiegelung in den Dickdarm appliziert. Ziel der Behandlung ist es, ein gestörtes intestinales Mikrobiom in ein normales Mikrobiom zu verändern.
Als Mikrobiom wird die Gesamtheit der den Menschen besiedelnden Mikroorganismen bezeichnet. Der Großteil dieser Mikroorganismen befindet sich im Darm. Dieses intestinale Mikrobiom wurde früher auch als Darmflora bezeichnet. Über 100 Billionen Mikroben besiedeln den menschlichen Körper. Ist das intestinale Mikrobiom gestört, können sich Krankheitserreger ansiedeln. Darminfektionen können die Folge sein.
Quelle: Die Presse 05.06.2015, Print-Ausgabe, 06.06.2015